Industriespeicher und ihr Potenzial

Industriespeicher in Deutschland:  Welche Potenziale sie haben und vor welchen Herausforderungen sie stehen.

Autor: Peter Hussinger, Leiter Speichertechnologien, WI Energy GmbH

Für die Energiewende in Deutschland spielen heute und in den kommenden Jahren Batteriespeicher eine zentrale Rolle. Doch während der Ausbau von Heimspeichern seit Jahren enorm gestiegen ist und der Großspeicherausbau derzeit explodiert, lässt sich das für den Markt der Gewerbe- und Industriespeicher 
nicht sagen. Was steckt dahinter, dass dieses Segment im Vergleich nur einen überschaubaren Anteil der gesamten installierten Batteriespeicherkapazität heute und vermutlich auch in den nächsten Jahren aus-macht? Denn ein genauer Blick zeigt die Vielfalt der möglichen Anwendungen für Industriespeicher, deren Chancen, aber auch die Herausforderungen, die ihrer weiteren Verbreitung derzeit noch im Weg stehen.

Heimspeicher dominieren, Großspeicher wachsen rasant

Aktuell entfallen 83 % der installierten Batteriespeicherkapazität in Deutschland auf Heimspeicher, während 13 % Großspeicher ausmachen und lediglich 4 % auf den Gewerbe- und Industriesektor gehen. Für die kommenden Jahre erwarten wir, dass Großspeicher deutlich stärker als bisher wachsen werden – so sollen sie sich in den nächsten zwei Jahren verfünffachen und eine Gesamtkapazität von fast 9 GWh erreichen im Vergleich zu den heutigen ca. 1,8 GWh. Diese positive Entwicklung gilt jedoch nicht für 
den Ausbau von Industriespeichern. Obwohl sie ein großes Leistungsvermögen für das Stromsystem bieten könnten, bleibt ihre Ausbaugeschwindigkeit eher verhalten im Vergleich zu den anderen beiden Segmenten.

Industriespeicher zeigen großes Potenzial

Im Gegensatz zu Heimspeichern, die hauptsächlich zur Eigenverbrauchssteigerung genutzt werden, und Großspeichern, die vorwiegend zur Vermarktung im Spot- und Regelenergiemarkt eingesetzt werden, sind die Anwendungsmöglichkeiten bei Industriespeichern zur lokalen Optimierung deutlich vielfältiger. Mit Blick auf die Situation des gesamten Netzes könnten Industriespeicher eine bedeutende Entlastung bewirken, da sie durch ihre Lage hinterm Zähler Flexibilität dorthin bringen, wo häufig bereits Verbrauch und Erzeugung im MW Maßstab stattfinden und keine zusätzliche Netznutzung notwendig ist. Zum Vergleich: Ein einzelner Industriespeicher kann dieselbe Netzunterstützung bieten wie tausende Heimspeicher kumuliert. Zudem bieten sie weitere attraktive Anwendungsmöglichkeiten, die in anderen Segmenten nicht möglich sind – von der Lastspitzenkappung über die Pufferung von Schnellladesäulen bis hin zur Notstrombereitstellung.

Der Schlüssel zum Erfolg 

Im Industriesektor sind die Laststrukturen komplexer, und die Tarifstruktur bringt vielfältigere Möglichkeiten mit sich als im Heimbereich. Speziell in der Industrie gibt es eine Vielzahl von exklusiven Anwendungsbereichen für Batteriespeicher: Neben der bereits genannten klassischen Lastspitzenkappung, die hohe jährliche Leistungskosten reduzieren kann, bieten Industriespeicher die Möglichkeit zur atypischen Netznutzung während Hochlastzeiten oder die Nutzung der 7.000-Stunden-Regel für energieintensive Betriebe. In guten Fällen amortisieren sich dabei Industriespeicher innerhalb von fünf oder weniger Jahren – eine durchaus attraktive Perspektive. 

Ein bedeutender Unterschied liegt aber in der Flexibilitätsvermarktung, die für Großspeicher bereits etabliert ist. Mit einer Cross Market Optimierung werden Großspeicher über verschiedene Energiemärkte, wie den Regelenergiemärkten und den verschiedenen Optionen am Spotmarkt hinweg optimal kombiniert vermarktet. Großspeicher profitieren sehr von dieser kombinierten Vermarktung. Dasselbe Prinzip könnte auch auf Industriespeicher im Megawatt Bereich angewendet werden, um Zeiträume, die bisher ungenutzt bleiben, rentabel zu nutzen und so die Wirtschaftlichkeit zu steigern oder Projekte erst zu ermöglichen, die sich sonst nicht rentieren würden.

Netzanschlusskapazität als limitierender Faktor

Ein großer Vorteil von Industriespeichern im Vergleich zu Großspeichern liegt zum Beispiel in der schnelleren Umsetzbarkeit hinsichtlich des Netzanschlusses. Im Jahr 2024 wurden bei den Übertragungsnetzbetreibern Anfragen für den Netzanschluss von Batteriespeichern in Höhe von 161 GW gestellt – eine enorme Zahl, wenn man bedenkt, dass aktuell 1,5 GW an Großspeichern installiert sind (bei 10,8 GW Batteriespeicher insgesamt). Diese Diskrepanz verdeutlicht, dass die Netzanschlusskapazität für Speicher in den nächsten Jahren zu einem knappen Gut der Energie-infrastruktur werden könnte. Ein Blick auf die Niederlande verdeutlicht, wie prekär die Lage werden kann: Das niederländische Stromnetz ist bereits so stark überlastet, dass Gemeinden keine Genehmigungen für neue Wind oder PV Parks mehr erteilen. Die Netzanschlusskapazität ist in vielen Teilen des Landes bereits so knapp, dass die Nachfrage bei weitem nicht mehr gedeckt werden kann.

Industriespeicher werden im Gegensatz zu Großspeichern an bereits existierenden Netzanschlusspunkten von Industriebetrieben installiert und können diese damit effizienter ausnutzen, ohne dass aufwändige und zeitintensive Projektentwicklungsphasen wie im Großspeicherbereich notwendig wären. Der Faktor Zeit spielt eine entscheidende Rolle: Während Großspeicher oft eine Entwicklungszeit von zwei bis drei Jahren haben, kann die Installation von Industriespeichern auf Industriegeländen schneller erfolgen, da der Netzanschluss und Genehmigungen häufig bereits vorhanden sind.

Vorbehalte und Unsicherheiten bleiben

Und dennoch steigt die Zahl der Industriespeicher deutlich weniger stark als die der Heim- und Großspeicher. Eine der Ursachen ist die Unsicherheit bei Regulatorik und der Entwicklung der Leistungspreise. 

Ein Beispiel ist die Neuverteilung der Netzentgelte ab Januar 2025, die nach einer Untersuchung konkreter Peak Shaving Projekte von WI Energy zu einer Leistungspreisänderung von -45 % im Jahr 2025 führen wird und damit die Attraktivität betroffener Projekte deutlich schmälern würde. Dieses Risiko erschwert Investitionen in diesem Segment, da die zukünftige Rentabilität schwer kalkulierbar ist.

Hinzu kommen Unsicherheiten im Fortbestand der Gesetzgebung (StromNEV §19 Abs. 2 und Abs. 3) und der daraus entstehenden Regularien für die jeweiligen Anwendungen atypischer Netznutzung oder ener-gieintensiver Nutzung. Der Fortbestand dieser Sonderregelungen steht zurecht in Diskussion, da dieser Fortbestand in einem aus erneuerbaren Energien dominierenden Energiesystem nicht mehr zeitgemäß ist.

Ein Manko: Der fehlende Energiehandel

Nach der aktuellen Formulierung des Energiewirtschaftsgesetzes (§118 EnWG, keine Netzentgeltbefreiung bei kaufmännisch bilanzieller Zwischenspeicherung) sind Großspeicher (front of the meter) für die Befreiung von Netzentgelten im Energiehandelprivilegiert. Industriespeicher (behind the meter), die häufig in Multi Use Betrieb gefahren werden und damit eine Kombination von Anwendungen bieten, fallen meist nicht in diese Kategorie, da sie durch den Multi Use Einsatz keine symmetrische Netzein- und Ausspeisung vorweisen können. Diese Vorgabe schränkt die wirtschaftlichen Erlösmöglichkeiten erheblich ein, da der Energiehandel einen der lukrativsten Erlösströme für Batteriespeicher im Megawatt-Bereich darstellt. Ohne die Möglichkeit, Erlöse im Energiehandel zu erzielen, bleiben nur risikoreichere Anwendungen, deren Rentabilität und langfristiger Fortbestand schwerer kalkulierbar sind. Sollte der Speicher außerdem in einem entscheidenden Moment nicht performen, kann bei diesen Anwendungen schnell ein Großteil des Jahreserlöses auf der Kippe stehen. Zudem werden viele dieser Anwendungen nur für eine begrenzte Zeit im Jahr benötigt. Die verbleibende Zeit könnten Industriespeicher genutzt werden, um am Energiehandel teilzunehmen und das Stromnetz zu entlasten – eine Flexibilität, die derzeit jedoch meist ungenutzt bleibt, da hier nur Großspeicher gesetzlich privilegiert werden.

Wichtige Säule einer erfolgreichen Energiewende in Deutschland

Um die Energiewende in Deutschland weiter voranzutreiben, sind Industriespeicher aber ebenso ein wichtiger Pfeiler. Ihre Fähigkeiten, Netzlasten zu senken und Spitzen bereits dort zu kappen wo sie auftreten, können die Anforderungen an den Netzausbau erheblich verringern und damit Kosten für das Gesamtsystem reduzieren. Sie sind damit eine volkswirtschaftlich sinnvolle Ergänzung zu Heim- und Großspeichern und verdienen es, diese Rolle stärker auszuspielen.

Eine Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes, die auch die Flexibilität und Nutzbarkeit von Industrie-speichern für den Energiehandel berücksichtigt, könnte großes Potenzial in der Industrie freisetzen und den Ausbau kostengünstig beschleunigen. Schnellere Genehmigungsverfahren auf Betriebsgelände und die bereits bestehenden Netzanschlusspunkte könnten die Errichtung von Industriespeichern im Vergleich zu Großspeichern deutlich beschleunigen und den schnellen Ausbau in diesem Bereich fördern.

Viele Fachleute sind sich einig: Der Fokus wird zunächst auf den Ausbau von Großspeichern gerichtet sein, solange die aktuelle Gesetzgebung das volle Potenzial von Industriespeichern nicht unterstützt. Eine zukunftsorientierte Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen könnte jedoch dazu beitragen, dass auch diese Form der Speicher in Deutschland eine wichtige Säule der Energiewende werden und langfristig zur Stabilität und Effizienz des Stromnetzes beitragen.